Nachruf Mike Shatzkin (1947 – 2024)

Große Fragen, präzise Antworten.

Portrait Mike Shatzkin. Photo: Private.

Mike Shatzkin hatte keine Scheu, große Fragen aufzuwerfen. Bei den Antworten aber gab er sich niemals mit schick klingenden, doch nicht präzise untermauerten wie auch bis ins Detail recherchierten Antworten zufrieden. In einem Essay über die „Paradoxien kultureller Märkte“ etwa, den ich 2002 schrieb, bedankte ich mich aufrichtig für seinen „lively scepticism“, den ich von ihm dankbar aufnahm, als ich für meine Argumente um seinen Rat fragte.

Bereits ein Jahr zuvor hatten wir zur Frankfurter Buchmesse gemeinsam eine Konferenz organisiert, in der es um die noch recht experimentellen Konzepte rund um den Begriff „Ebook“ gehen sollte. Gleich im ersten, vorbereitenden Gespräch schlug Mike als Titel vor: „Frankfurt Big Questions“. Denn, so führte er lakonisch aus, „book publishing is a business that requires looking well into the future.”

Mir wird heute noch leicht schwindlig, wenn ich an dieses Gespräch zurückdenke. Wie wollen wir diesem Anspruch auch nur einigermaßen gerecht werden, fragte ich mich. Wenig später las ich auf Mikes Blog allerdings eine überaus präzise Anleitung:

Publishers in 2001 face uncertainty every time they sign up for a book, but even more so when they make infrastructure investments. How much effort should go into digital content and rights management? How much investment should go into developing new delivery forms and channels? Is this exactly the wrong time to invest in more warehouse space, or exactly the right time to invest in print-on-demand capability in the warehouse?

Heute, 23 Jahre später, würde ich keine Minute zögern, diese Fragen, Wort für Wort, in die Präsentation einer aktuellen Fachtagung zu schreiben.

Unsere Konferenz fand im Oktober 2001 auf der Buchmesse statt, genau wie geplant, mit brillanten Referentinnen und Referenten aus Startup Unternehmen, die es allerdings oft wenige Monate oder ein Jahr später nicht mehr gab. Gerade einen Monat vor unserer Konferenz, am 9. September, lenkten arabische Terroristen ein entführtes Flugzeug ins World Trade Center in New York – was die Frankfurter Buchmesse mit gut 1000 US-Ausstellern in eine Schockstarre versetzte. Und das Platzen der sogenannten „Dot-Com Blase“ im Sommer 2000 interpretierten viele gerade auch im Buch- und Verlagsgeschäft als ein Aus für diese digitalen Phantasien.

Mike Shatzkin hatte einen sehr viel klareren Blick. Nur wenige Jahre später erzählte er mir, wie er sich nun durch die Vertriebszahlen einer großen US-Buchhandelskette arbeitete, um deren Management deutlich zu machen, was sie aus diesen Zahlen lernen und in praktische Maßnahmen für bessere Planung beim Einkauf von Titeln und für die Präsentation in den Buchhandlungen ableiten können.

Wenn er von solchen innovativen Ansätzen sprach, vergaß er niemals, gleich auf seinen Vater Leonard Shatzkin zu verweisen, von dem er diese extrem pragmatischen, anwendungs-orientierten Zugänge im Buchgeschäft gelernt habe.

Mit diesen Eigenarten bleibt Mike der wie aus einem Bilderbuch ins Leben heraus getretene ‚character‘ eines Romans, der an der New Yorker Upper East Side angesiedelt ist. Als begeisterter Läufer (und Konsument von Zero Pepsi als Basis-Elixier) absolvierte er seine Joggingrunden entlang genau abgesteckter Runden um Häuserblöcke seines Reviers. Und noch wenige Wochen vor seinem Tod, als er doch noch aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen wurde, feierte er die Rückkehr in die Heimat mit minutiösen Berichten, wie weit er es gleich zu Fuß bis zu diesem oder jenem Laden geschafft habe.

Wie sehr wir – wir vielen, die Mike kannten und von ihm lernten – ihn schon jetzt vermissen, das wird in den zahllosen Posts auf seiner Facebook-Seite mehr als deutlich. Doch zum Glück hinterlässt uns Mike, in Gestalt seines über Jahrzehnte geführten Blogs der „Shatzkin Files“ auf Idealog.com (einem wunderbaren Wortspiel auf seine Arbeitsweise) eine Schatzkiste, die wir weiterhin nur erforschen müssen, um die Verbindung mit Mike Shatzkin lebendig zu halten.

Foto: Privat.

Dieser Nachruf erschien zuerst auf Langendorfs Dienst.

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